tosterglope universität

 

In Tosterglope entsteht seit kurzer Zeit eine Universität. Eine Universität?
Ja, ein Universität! Ihre Basis ist der Sandkasten. Er ist Ort
des Spielens, der plastischen Planung aber auch des Verwischens
und Verwerfens und des Neu-Anfangens. Bislang gibt es im Kunstraum
Tosterglope das „Museum für Alles“ oder die „Kontaktzone“,
oder die Colloquien heißen „Mittwoch am Museum“. Ihr Zeichen
ist der Tisch. Es gibt im Kunstraum Tosterglope auch das In-Institut
oder An-Institut, also ein Institut im Institut – eine (selbstständige)
Einrichtung in einer Einrichtung, ein Raum im Raum. Ihr Zeichen
ist der Koffer.

 

Die „tosterglope universität“ markiert als An-Institut die Möglichkeit,
eine Tätigkeit innerhalb eines Kunstvereins auszuüben, die
man dort nicht vermuten würde.1 Bislang kannte man Universitäten
als Einrichtungen im urbanen Umfeld. Daran sind geknüpft
Forschungseinrichtungen, Bibliotheken, große Hörsäle, Studentenheime,
Wohnungen für Wohngemeinschaften usw. Im sogenannten
ländlichen Raum kann die Gründung einer Universität
zugleich eine Emanzipationsbewegung der Menschen sein, die
auf dem Land leben. Sie steht für den Anspruch auf Bildung vor
Ort, Gedankenaustausch – natürlich auch über die landwirtschaftlichen
Belange und Forschungen hinaus. Grundbegriff der „tosterglope
universität“ wird „Ästhetik, Wahrnehmung“ sein. Ästhetik
der Fruchtfolge im Ackerbau oder Ästhetik der Zubereitung einer
Mahlzeit, Ästhetik einer Skulptur oder einer Wolke, eines Carports
oder eines Hühnerstalls. Maßgeblich im Programm der neuen Universität
ist die Themen-Vielfalt, das Universelle. Alle Räume des
Kunstvereins in Tosterglope und das Hofgelände stehen zeitweilig
der Universität zur Verfügung. Exkursionen ins Umland gehören
ebenso zum Programm wie gemeinsame Planungen zur Weiterentwicklung
des An-Instituts.

 

Wer zur tosterglope universität geht, muss kein Abitur haben, keine
„mittlere Reife“. Die neugierigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer
müssen nicht Anfang zwanzig sein – alle Altersstufen treffen
hier zusammen und lernen voneinander, ob Schüler oder Rentnerin,
ob mitten im Berufsleben oder ohne Job. Es gibt Dozentinnen
und Dozenten, die vorlesen. Dies und vieles andere können aber
auch die TeilnehmerInnen selbst tun. Die beiden folgenden Zitate
markieren die Spannweite der Möglichkeiten einer neuen Universität.
Ob sie in Tosterglope Anwendung finden, muss von allen
Teilnehmenden herausgefunden werden.

 

Zur Gründung einer radikalen Universität sagt Elisabeth von Thadden:
„ … Sie (die Studenten) hätten viel zu tun: Sie müssten mit
den Lehrenden – sagen wir drei Stunden am Tag – das Gebäude
instand halten, das sie bewohnen, sie müssten das Land bewirtschaften,
die Energie selbst gewinnen. Und, natürlich, die allermeisten
Stunden des Tages würden sie studieren: und zwar eine
Geisteswissenschaft, eine Naturwissenschaft, eine Sozialwissenschaft.
Zum Singen bliebe noch genug Zeit. Nur eine einzige der
alten, aus der Antike kommenden Fragen würde alle von Anfang
bis Ende miteinander verbinden, etwa: Was ist Eudaimonia? Oder:
Was ist Freundschaft? Oder: Was ist ein Staat? … Die kleine radikale
Universität wäre wach. Aufmerksam für das Wenige, das in ihr entstünde.
Sie konzentrierte sich auf Wertschöpfung, sozusagen. Um
Boden zu gewinnen für die innere Freiheit.“ (2)

 

Eine andere Formulierung stammt von Armin Nassehi: „ … Die Universität
muss ein Ort des organisierten Kontrollverlusts sein. Ein
Ort, an dem die Gesellschaft die Abweichung prämiiert. Wissenschaftliches
Lernen muss Eindeutigkeiten hinter sich lassen, es
muss mit Überraschungen rechnen – gerade weil man mit allem
rechnen kann, aber eben nicht mit Überraschungen … Sie muss
sich mit Autorität gegen ein Wissen durchsetzen, das als kollektives
Wissen in der Gesellschaft immer schon allzu demokratisch
abgesichert scheint. Die Form exzentrischer Autorität und Abweichung
– das ist es, was die Universität schützen muss.“ (3)

 

Im Sandkasten der „tosterglope universität“ beginnen die philosophischen
Betrachtungen, die Entwürfe mit den Füßen, dem Rieseln
durch die Finger und den flüchtigen Plastiken. Dies ist nicht
kindisch sondern spielerisch, unvorhersehbar und überraschend.
Im Sandkasten wird gefragt nach Eudaimonia und „organisiertem
Kontrollverlust“. Im Sandkasten liegen Vernunft und Genuss
nebeneinander, Intellekt und Gefühl, und alle sind weltweit so
umstritten und zugleich erwünscht wie „Glückseligkeit“. Dies als
Übersetzung von „Eudaimonia“ als gelungenes Leben. Aber im
Sandkasten meldet sich auch die einfache Lust am Gestalten und
Formen wie am Umgestalten und Umformen – wie bei Sandburgen
und bei Sandkuchen eben, bei Weltbild und bei Lebensplan.

 

Johannes Kimstedt
Fotos: Murte Liebenberg, Johannes Kimstedt

 

(1) tosterglope – kleingeschrieben – ist ein Attribut. tosterglope bedeutet in diesem
Zusammenhang weit-draußen-und-trotzdem-oder-gerade-deshalb. Das Off
ist Programm.
(2) Elisabeth von Thadden ist Redakteurin im Feuilleton der ZEIT – das Zitat stammt
aus dem ZEIT Campus online – Die Universität der Zukunft – 21.Juni 2017
(3) Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Universität München – das Zitat
stammt aus dem ZEIT Campus online – Die Universität der Zukunft – 21.Juni 2017
Die tostergloper universität wird großzügig gefördert von Stiftung Niedersachsen